Peter Kees I Concept Art

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100 % Sicher

In der Ausstellung wird die Angst ästhetisch.

Anmerkungen zu „100% Sicher“ von Peter Kees.

Von Peter Herbstreuth

Am 11. September wurden Franz Beckenbauer und Theodor W. Adorno geboren. Beckenbauer beeinflusste den Fußball, Adorno das Nachdenken über Ästhetik und den Erscheinungscharakter der Kunst.

Seit der Attacke auf das World Trade Center in New York am selben Tag weiß man nicht mehr, was zusammen passt. „100% Sicher“ ist  außer den geschaffenen Fakten nichts. Darin liegt auch die Relativität der Zeitdiagnose des Performers Peter Kees, der sich nicht auf die Tat, sondern auf das Geschehen, nicht auf Erfahrung, sondern auf die Diskurse und Reaktionen bezieht, die der Attacke folgten. Seine Ausstellungsaktion zwischen Doku-Drama, Splatter-Art und Ereignisbild richtet sich an ein vages kollektives Bewusstsein und seine angenommene Angstproduktion.

Der Künstler sprengte Koffer, Taschen, Rucksäcke und filmte die Explosionen, um die Video-Dokumentation zusammen mit den Trümmern der Objekte in der Galerie der Künste zu zeigen. Was ist daraus zu schließen?

Analogon. Die Repräsentation von Plötzlichkeit - Sprengung von Gepäckstücken - kommt auch im richtigen Leben vor: als polizeiliche, grenzschützerische oder militärische Maßnahme im Blick von Video-Kameras, üblicherweise auf geschütztem Terrain im Namen der Sicherheit. Sie kommt auch als terroristische Maßnahme vor, üblicherweise im städtischen Alltag im Namen der Vergeltung. Da Peter Kees auf geschütztem Terrain nicht im Namen der Sicherheit sprengte, sondern im Namen der Kunst, ahmt er das Vorgehen von Sicherheitskräften nach und dokumentiert die Harmlosigkeit der Objekte. Gefahr gebannt.

Echos. Damit setzt er Bezüge zum Historien- und Ereignisbild in Bewegung. Das Historienbild erzählt eine Geschichte, das Ereignisbild hält einen bedeutenden Moment fest. Beide Bildtypen beziehen sich auf vergangene Taten, die bereits bekannt und beschrieben sind– so wie die Aktion von Peter Kees bereits bekannt und hier beschrieben ist und das informierte Alltagsbewusstsein sogleich an jüngstvergangene Taten in London, Madrid, Beirut, Bagdad, Kabul, Tel Aviv denken lässt. Der Künstler ritzt einen Konfliktherd an, den man in Deutschland aus den Medien, nicht aus eigener Erfahrung kennt.

Das passt zum Ereignisbild. Es erzeugt ein Übermaß an Deutungs- und Erklärungsmöglichkeiten, ohne die Fäden zu entwirren, die zur Explosion der Zeichen als Ereignis führen. Aber für künstlerisch Inspirierte hatten Begriffe wie Sprengung, Explosion, Deutungsexzess, Guerilla, Ursprungsvagheit, Realzeit, Unvorhersehbarkeit, Überraschung schon immer eine hohe Attraktivität als produktive Leitmetaphern. Denn in jedem plötzlichen Erscheinen haust das Integral der Kunst: Man weiß nicht, was geschieht; man weiß nicht, dass es geschieht. Dieses Erbe der historischen Avantgarden zieht jedoch eine moralisch perverse Spur nach sich (ästhetisch zu begrüßen, was man realiter verdammen muss), die ein Künstler wie Peter Kees in Kauf zu nehmen hat und in Kauf nehmen kann, denn er handelt symbolisch im Namen der Nachahmung.

Die Präsentation der Trümmer hat eine Entsprechung im Archiv der Überwachungs- und Schutzorgane, die entschärftes Beweismaterial archiviert – sei es für Lehrzwecke, sei es für die Anschauung ganz allgemein. Im Grunde hat Peter Kees das Gleiche getan wie Polizisten, Grenzschützer und Soldaten von Sprengkommandos. Er leitete seine Arbeit aus der Tagesaktualität ab, ahmte das Geschäft der Sicherheitsexperten nach und stellte sich auf die Seite der Entschärfer, nicht von Attentätern.

Einstellung. Der künstlerische Leiter der Galerie, Noam Baraslavsky, gab in einem Kommentar zu bedenken, dass jetzt in Europa geschehe, was in Israel seit langer Zeit zum Alltagsleben gehöre. Mit Sprengungen sei zu rechnen. Jeder wisse, wenn er morgens aus dem Haus auf die Straße gehe, dass er bei der nächsten Explosion zu den Toten gehören könne. Daran würde man sich nie gewöhnen, aber man gewinne eine Einstellung dazu.

Welche Einstellung gewann Peter Kees? Er führte das subjektiv Unvorhersehbare und gleichzeitig objektiv Wahrscheinliche als Gedanke in die Kunstbetrachtung ein. Hätte er das Ereignis als Teil der Ausstellung erzeugt, hätte er die Zünder der kleinen Bomben an einen Zufallsgenerator anschließen und die Gegenstände im Ausstellungshaus sprengen müssen. Er entschied sich für Sicherheit. Das Ereignis war vorüber, bevor jemand erfahren hatte, dass es geschehen würde. Es wird  zur Frage der Grammatik und stellt die Gegenwärtigkeit in Frage. Die Angst ist abstrakt. Sie erscheint im Gewand einer literarischen Idee aus den konzeptuellen Epiphanie-Traditionen und führt zwangsläufig zur Bestätigung der Einsicht: In Ausstellungen wird die Angst ästhetisch. Der Schrecken gewinnt den Schein des Schönen.

Doch ergreift er als Künstler Partei und stellt eine Diagnose, deren Symptom er selber ist; Sicherheit wird zum ambivalenten Wort. Der Titel „100 % Sicher“ deutet in die gemeinte Richtung. In seiner Serie „TV-Real“  führt Peter Kees jede Woche Solo-Interviews mit Männern und Frauen des kulturell-diplomatischen Lebens, vornehmlich aus Berlin. Nichts ist dabei sicher, außer der fernsehpünktliche Beginn. Seine Gespräche sind aber nicht auf Sprengungen und Explosionen angelegt, sondern auf das muntere Auf und Ab einer Unterhaltung, die das Private mit dem Öffentlichen mixen soll; die Dosis bestimmt der Gast selbst. Explosionen sind möglich, aber Kees ist kein Sprengmeister.  Der Gast kann sich „100% Sicher“ fühlen.

Die Ausstellung mündet in eine Doppelaussage mit ironischem Einschlag: Da es hundertprozentige Absicherung nicht gibt und nie je gegeben hat, kann es nur um eine Minderung der Angst gehen. Angst wird durch Rationalisierungen, Statistiken, Kausalbeziehungen. Erklärungsmodelle und symbolische Nachahmungen gemindert. Peter Kees hatte sich dafür entschieden, die Rolle des Schutzmanns zu geben und sich auf Sicherheitsvorkehrungen zu konzentrieren. Alles unter Kontrolle.